Wie sind Sie zu dem Stoff gekommen?
Nach dem Tod von Riefenstahls Lebensgefährten 2016 hatte Sandra Maischberger einen Zugang zum Nachlass bekommen, eine vorläufige Erschließung angeschoben und vorfinanziert. 2018 hatte sie mich dann für das Projekt angefragt. Von Anfang an spürte ich bei Sandra und ihrem Team ein starkes Commitment: Sie wollten einen Kino-Film mit einem neuen formalen und inhaltlichen Zugriff, und sie wollten ihn mit mir und den großartigen Editoren Stephan Krumbiegel und Olaf Voigtländer machen, mit denen ich schon „Beuys“ geschnitten hatte. Alfredo Castro sollte unser Team dann noch verstärken. Damit begann eine mehrjährige Reise und eine komplexe Suche, den gigantischen Fundus in eine filmische Erzählung zu bringen. 2020 bekam ich die ersten Digitalisate - mal war es ein Tagebuch aus dem Jahr 1948, dann waren es Aufzeichnungen privater Telefonate, etwa mit Albert Speer. Ich erhielt Einblicke in die Konvolute unveröffentlichter Fotos und Normal 8-Aufnahmen aus den 1930er Jahren, dazu die Entwürfe der Memoiren, die sich zum Teil deutlich von der gedruckten Version unterschieden. Diese Funde machten auf Anhieb neugierig, zugleich warfen sie Fragen auf. Hatte Riefenstahl bestimmte Materialien gezielt hinterlassen, andere aussortiert? Wo sollte ich andere Quellen hinzuziehen?

Ist der Nachlass durch Riefenstahl manipuliert worden?
Es ist erst einmal das gute Recht eines jeden, seine Papiere und Dokumente durchzusehen und zu entscheiden, was der Nachwelt erhalten bleiben soll. Es wäre überraschend gewesen, wenn Riefenstahl von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hätte. Darauf weist zumindest die eine oder andere „Leerstelle“ in ihrem Nachlass hin.

Können Sie ein Beispiel für eine dieser „Leerstellen“ nennen?
Wir sind auf den Hinweis eines Interviews des Daily Express mit Riefenstahl aus dem Jahr 1934 gestoßen, das eigentliche Interview fehlte. Wir haben es uns dann aus dem Archiv der Zeitung kommen lassen. Darin bekennt Riefenstahl, sie habe 1932 Hitlers „Mein Kampf“ gelesen und sei schon nach der Lektüre der ersten Seiten eine begeisterte Nationalsozialistin geworden. So ein Dokument hätte ihre mühevoll aufgebaute Legende einer „Unpolitischen“ mit einem Schlag eingerissen. Umso mehr stellte sich die Frage: Wie kann ich mich einer Protagonistin annähern, die nicht nur in ihrem Leben, sondern auch bei ihrem Nachlass alles getan hat, ihre Legenden, Halbwahrheiten und Lügen aufrechtzuerhalten? Damit begann die eigentliche Arbeit: mich mit Hilfe von der Archive-Producerin Moni Preischl und der Literaturwissenschaftlerin Christiane Cæmmerer in die 700 Kisten des Nachlasses einzuarbeiten. Und trotz meines Misstrauens offen zu bleiben für das, was die 700 Kisten uns erzählen.

Sie haben dann anderthalb Jahre an verschiedenen Versionen eines Treatments geschrieben.
Die Fülle des Nachlasses bot erst einmal die Möglichkeit, auf scheinbar bekannte Fragmente von Riefenstahls Lebensweg mit einem ganz anderen Blick zu schauen. Ich suchte in den persönlichen Dokumenten nach Schlüsselerlebnissen und Prägungen. Zu Beginn der Recherchen bin ich beispielsweise auf ein 25-seitiges, maschinengeschriebenes Konvolut gestoßen, in dem sie ihre Kindheit und Jugend skizziert. Es ist Anfang der 1970er Jahre verfasst, also noch lange vor dem Beginn ihrer Aufzeichnungen zu den Memoiren. Auffallend sind die plastischen Schilderungen körperlicher Gewaltexzesse durch den Vater, als kleines Mädchen, aber auch noch als 17jährige. Der Vater schlägt in den Jahren der Pubertät immer dann zu, wenn Riefenstahl mit ihren weiblichen Reizen spielt. In den Entwürfen und den später gedruckten Memoiren werden diese Gewaltorgien deutlich abgeschwächt, vieles davon wird gar nicht erwähnt. Schon in den Entwürfen ringt sie mit sich, welches öffentliche Bild sie von sich vermittelt haben will. Momente der Ohnmacht und Schwäche werden durchgestrichen.

Laufen Sie in dem Versuch, Riefenstahl auch als Opfer zu beschreiben, nicht Gefahr, sie von ihrer Verantwortung freizusprechen, Propaganda für ein Unrechtsregime betrieben zu haben?
Nein. Schon im Schreibprozess ging es mir darum, ihre Schuld und Verantwortung präzise herauszuarbeiten - auf Grundlage neuer bislang unveröffentlichter Dokumente. Ich wollte die Figur Riefenstahl in ihrer Entwicklung verstehen, ohne sie deshalb zu exkulpieren. Einen Menschen verstehen zu wollen, bedeutet nicht, ihm mit Verständnis zu begegnen.

Kann man, oder besser: darf man sich einer Figur wie Riefenstahl, der überzeugten Propagandistin eines Terrorregimes, mit einer ambivalenten Offenheit annähern?
Auch ich hatte Momente, in denen ich mich zwingen musste, mich von ihr nicht einfach nur abzuwenden. Diesen Zustand des Unwillens habe ich überwunden, sonst hätte es keinen Grund gegeben, den Film zu machen. Es gibt ein Leben vor der Schuld. Ihr Leben hätte sich in den 1920er Jahren noch ganz anders entwickeln können. Die Begeisterung für das NS-Regime hat nicht 1932 angefangen. Es gab zahlreiche lebensgeschichtliche, historische und generationelle Prägungen in den Jahrzehnten davor. Der Nachlass gibt uns zusammen mit weiteren Quellen die Chance, sich Riefenstahl in all ihren Widersprüchen annähern zu können. Das ist ja nicht nur ein sanftes Umkreisen der Figur, im Gegenteil: Diese Arbeit hat durchaus etwas Zerstörerisches. Ich muss etwas aufbrechen, um tiefer zu schauen. Und so entsteht Neugierde, mit neuen Fragen. Die haben den Schreibprozess angetrieben – der ja nicht frei von Krisen war.

Das klingt nach einem schwierigen Unterfangen.
In der Tat. Nach einer etwa einjährigen Vorarbeit geriet ich in eine Sackgasse. Es war mir gelungen, die Funde aus dem Nachlass in eine nicht-lineare, aber durchaus stringente Erzählung zu bringen. Aber etwas Entscheidendes fehlte: Die Entwicklung der Figur. In der biografischen Erzählung gibt es keine Läuterung, wenn man so will: keine Erlösung der Hauptprotagonistin. Riefenstahl verweigert den klassischen Wendepunkt, den dritten Akt, in ihrer Lebens-Erzählung. Sie bleibt bis zu ihrem Lebensende bei ihren Legenden, sie bereut nichts, stellt nichts in Frage. Damit fehlte mir auf dramaturgischer Ebene ein dritter Akt.

Wie haben Sie sich aus diesem Dilemma befreit?
Ich recherchierte und schrieb weiter. Es war ein komplexer Suchprozess, an dem auch die Editoren beteiligt waren. Ein erster Befreiungsschlag war zunächst, eine Autorenfigur zu entwickeln, die einer fiktiven Riefenstahl all die Fragen stellt, die ihr so noch nicht gestellt wurden. Ich wollte mich damit aus dem Gefängnis der vorhandenen Interviews befreien, in denen sie meist stereotyp ihre Legenden vorträgt: Sie sei eine unpolitische Regisseurin gewesen, die nur ihrer Kunst verpflichtet gewesen sei, mit der Parteiprominenz habe sie kaum etwas zu tun gehabt und ähnliches.

Sie haben diese Idee dann wieder verworfen.
Ja, mit dem Ausbruch des Ukrainekriegs Ende Februar 2022. Ich entdeckte die Riefenstahl‘sche Ästhetik sehr bald in den gegenwärtigen Bildern einer Moskauer Parade: Unterperspektive auf Putin, sein Blick von oben auf die marschierenden Kolonnen. Und in den Aufnahmen der Eröffnung der Winterolympiade in Peking fand ich eine ähnliche Ästhetik wie in „Olympia“. Es waren die bekannten Bildwelten des Heroischen und Siegreichen – all das in einer wuchtigen Aktualität. Der spielerische Ansatz der fiktionalen Ebene verlor jede Berechtigung.

Die Gegenwärtigkeit des Materials war für Sie dann der Ersatz für den fehlenden Dritten Akt?
Ja, und die erschreckende Permanenz der Riefenstahl‘schen Ästhetik lieferte letztendlich auch die Berechtigung, ihn überhaupt zu machen. Die zeitlose Erkenntnis ist doch: Totalitäre Macht und selbst willkürlicher Terror haben nicht nur eine abschreckende, sondern durchaus auch eine anziehende Wirkung. In der Geste der Unterwerfung unter einen imperialen Potentaten gibt es eine versteckte Belohnung – als Einzelner Teil eines Imperiums zu sein, das zu einer historischen Größe zurückgeführt wird. Es ist die universelle Erzählung von Überlegenheit und Unbesiegbarkeit. In der Herzkammer dieser Bilder pulsiert das Ressentiment: die Verachtung des Anderen, des Schwachen, des vermeintlich Kranken. Und das bringt uns direkt zu der visuellen Ästhetik von Leni Riefenstahl.

Im fertigen Film arbeiten Sie ausschließlich mit historischem Archiv-Material, es gibt keine Zeitzeugeninterviews, kein gegenwärtiges Material – auch die erwähnten Moskauer Paraden kommen nicht vor.
Vieles aus dem Riefenstahl‘schen Nachlass ist in erschreckendem Maße heutig, jegliche Konkretion mit aktuellen Bezügen hätte die differenzierte Auseinandersetzung mit ihr und den Materialien des Nachlasses geschwächt.

In Ihrem Film zitieren Sie aus einer Rede von Goebbels, auch dessen antisemitische Tiraden klingen heutig.
Antisemitische Ressentiments erleben gerade eine wuchtige Wiederkehr, verbunden mit der Sehnsucht nach einem Nationalstaat, in dem vermeintlich früher alles besser, geordneter und sicherer war. Auch in diesem Kontext zitieren wir Leni Riefenstahl. Noch zu Lebzeiten hoffte sie, dass das deutsche Volk wieder zu Anstand, Sitte und Moral zurückkehren würde, es habe schließlich die Anlage dazu. Das Zitat hätte auch von prominenten Vertretern der AfD stammen können. Mehr als 18 Monate haben Sie an Ihrem „Riefenstahl“-Film geschnitten. Hat das nicht jeglichen Rahmen gesprengt?
Die Herausforderungen waren so groß wie bei keinem Filmprojekt zuvor. Das hat erst einmal mit der gigantischen Menge des zur Verfügung stehenden Materials zu tun. Die Arbeit ist zeitweise an meine Grenzen gegangen. Ich hätte sie nicht durchgestanden ohne die Menschen, die mich in diesen Jahren intensiv begleitet haben: meine Navigatorinnen durch den Nachlass, Christiane Cæmmerer, Monika Preischl und Mona El-Bira. Im gleichen Atemzug auch die Editoren Stephan Krumbiegel, Olaf Voigtländer und Alfredo Castro, die permanent eigenständig Ideen und Konzepte eingebracht und den Film maßgeblich geprägt haben.

Wie sah die Arbeit mit drei Editoren konkret aus, wie haben Sie sich den 700 Kisten angenähert?
Zunächst haben wir in einem Testschnitt zehn Wochen im Schneideraum experimentiert, mit welchen formalen Mitteln der Film erzählt werden kann. Fast alle Gespräche, die Riefenstahl in der Vorbereitung ihrer „Memoiren“ mit Freunden, Wegbegleitern, möglichen Ghostwritern und ihrem Verleger geführt hat, liegen nur als Audiomaterial vor. Wir haben versucht, mit Mitteln der Graphic Novel, des Comics, aber auch mit den Möglichkeiten der Rotoskopie zu arbeiten, d.h. eine mit Schauspielern gedrehte Szene wird im Nachhinein animiert. Wir wollten damit kenntlich machen, dass ihre Schilderungen mehr oder weniger fiktive Erzählungen sind, ich habe sie Drehbuchentwürfe ihres Lebens genannt. Unsere Versuche waren nicht wirklich befriedigend. Aufgrund der Tatsache, dass Riefenstahl unterkomplex erzählt, sahen wir die Gefahr, dass wir ihre Erzählung unterkomplex illustrieren. Es war klar, dass wir im Schnittprozess weitersuchen müssen.

  Welche Lösungen boten sich nach der mehrmonatigen Testphase an?
Wir wussten nur, was nicht funktioniert. Aber wir hatten noch keine wirkliche Idee, allenfalls eine Ahnung, dass es eine einfache, schlichte Lösung geben könnte: Wir erzählen Riefenstahl aus dem Material des Nachlasses – aus der Art und Weise, wie es archiviert wurde, wie mit ihm seinerzeit gearbeitet wurde.

Sie arrangieren den Nachlass im fertigen Film so, wie er von Riefenstahl hinterlassen wurde: persönliche Schriftstücke in Ordnern, Fotos mal in Alben, mal als Kontaktbogen, in pergamentartigen Schutzhüllen, mal in Kartons, Filmrollen auf einem Leuchttisch, die sie mal in Bewegung abfilmen, mal als Standbild.
Damit war es uns möglich, die Materialien aus dem Nachlass in eine Erzählung zu bringen. Wir holen aus einer Auswahl von Dokumenten etwas in die Schärfe, decken etwas anderes ab, was uns nicht wichtig erscheint. Mit der Auswahl von Fotos erzählen wir Riefenstahls Älterwerden oder umgekehrt, lassen sie aus den 1960er Jahren wieder jünger werden.

Ein zentrales Element der filmischen Erzählung ist die Verwendung von Ausschnitten aus den Talkshows und TV-Interviews.
Wir verwenden diese Ausschnitte nicht nur informativ. Manchmal zeigen wir sie ohne Ton und in Zeitlupe, wir können Riefenstahl mit ihrer Gestik und Mimik dann einfach nur beobachten.

Wie gestaltete sich das Wechselspiel von Montage und Musik?
Freya Arde hat am Anfang ohne Kenntnis des Materials musikalische Entwürfe komponiert, in der sie sich intuitiv der Figur Riefenstahl angenähert hat. So eine Vorarbeit kannte ich nicht. Umso überraschter war ich, wie hilfreich diese ersten Layouts für uns waren. Zu unserer Freude waren sogar einige Kompositionen dabei, die sich bis in die finale Version gehalten haben. Dazu kam, dass Freya Arde einige Kompositionen gleich mit dem Babelsberger Filmorchester umsetzen konnte – mit einem Quantensprung an klanglicher Qualität. Sie hat es in ihren Kompositionen geschafft, eine schwebende Distanz zu den Erzählungen Riefenstahls herzustellen. Manchmal genügte es, in den Filmausschnitten von Riefenstahl, statt der Originalmusik mit Ardes minimalistischen Mitteln zu antworten – und sofort öffnen sich Räume des Befragens, der Skepsis, des Zweifels.

Zum ersten Mal arbeiten Sie in Ihrem Film mit einem Kommentar.
Zunächst war ich davon überzeugt, dass ich das Material des Nachlasses nicht für sich sprechen lassen kann. Es würde die Stimme eines Autors brauchen, der die Funde einordnet und hinterfragt, manchmal auch dechiffriert. In welchen Momenten glaube ich ihr? Welche anderen Materialien aus weiteren Recherchen müssen hinzugezogen werden? Wofür stehen ihre Legenden, wofür braucht sie sie? Der Charakter des Kommentars hat sich im Laufe des Schnittprozesses dann aber grundlegend gewandelt. Zu Beginn war er wertender, wenn man so will: entlarvender. Ich musste mich als Autor gegen ihre Lügen wehren, sie enttarnen. Mehr und mehr übernahm diese Dechiffrierung ihrer Erzählungen dann aber die Montage. Und das fast ausschließlich aus den Materialien des Nachlasses selbst. Offenbar hat sie eben viele der Materialien, die sie im Kern belasten, nicht als solche erkannt.

Sehen Sie in Leni Riefenstahl noch die Filmemacherin, die ikonographische Bildwelten geschaffen hat?
Riefenstahl war eine Meisterin der Montage. Wir zeigen Ausschnitte aus „Olympia“, etwa auch die bekannte Turmspringer-Sequenz. Wir geben damit Riefenstahls Feier des Schönen, Starken und Siegreichen durchaus einen Raum. Die Sequenz entfaltet auch heute noch eine starke Wirkmächtigkeit, es wäre falsch, sie nicht zu zeigen. Was diese Bilder verschweigen, erzählen wir an anderer Stelle – im Kontext etwa des Schicksals des Kameramanns Willy Zielke. Er hatte den Prolog von „Olympia“ weitgehend eigenverantwortlich gedreht. Kurz nach den Dreharbeiten brach er zusammen, kam in die Psychiatrie. Kein halbes Jahr später wurde er zwangssterilisiert. Leni Riefenstahl wurde davon informiert, ist aber nicht eingeschritten. Im Film erzählen wir darüber die Nachtseite der Riefenstahl’schen Ästhetik: die Verachtung des Anderen bis zu dessen Ausmerzung. Diesen Zusammenhang hat Riefenstahl ihr Leben lang verleugnet.

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